Vorhang zuvon Martina Tusch
„Stell dich hier hin und sag mir, was du siehst.“
Licht. Drei Schritte vor. Das Mädchen wies auf den Boden.
„Na los, mach schon!“
Etwas weiter hinten, ein junger Mann. Er gehorchte ihr.
„Okay, okay“, sagte er.
„Du musst dich schon mehr anstrengen.“
„Warte doch.“
„Welche Farbe siehst du?“
„Ich kann das nicht.“
„Sei still.“
„Aber ich soll dir doch sagen, was ich sehe.“
„Du weißt, was ich meine.“
„Olivia.“
„Moritz. Also, welche Farbe?“
Sie gab ihm einen Klapps auf den Rücken. Wartete.
„Nichts.“
„Nichts? Das ist keine Farbe.“
„Sehr witzig.“
„Ich kann auch wieder gehen.“
„Nein.“
„Natürlich. Ich hab‘ zwei voll funktionierende Beine.“
„Das weiß ich.“
„Also, bis dann.“
„Liv.“
Sie stockte. Ein Blick nach rechts.
„Sie haben gerufen?“
„Warte.“
„Das tu‘ ich doch schon die ganze Zeit.“
Ungeduldig tappte sie mit dem Fuß am Boden. Es hallte.
„Nur damit du‘s weißt, ich hab‘ meine Arme verschränkt und verdrehe gerade die Augen.“
„Reizend, wie immer.“
„Den Charme einer Lady kann nicht mal einem Maulwurf entgehen.“
„Wie gut, dass der Kerl unter der Erde lebt.“
„Hey!“
Schnaubend fuhr sie sich durch die Haare und richtete ihr Leiberl. Sie schwiegen. Vier Schritte nach links. Zwei nach hinten. Ein leichtes Husten drang an ihre Ohren.
„Ist es denn immer Nacht bei dir?“, fragte sie.
„Nein, Tage gibt’s trotzdem. Oder ist der gelbe Ball schon vom Himmel gefallen? "
„Ich will’s doch einfach nur verstehen, deine Farbe.“
„Schwer zu erklären, meinst du nicht?“
Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er nahm sie nicht. Sie legte ihren Kopf in den Nacken, schloss die Augen.
„Was machst du da?“, fragte er.
„Was ich mache?“
„Ja.“
„Ist das nicht offensichtlich?“
„Offensichtlich nicht.“
Sie ließ ihren Arm fallen, setzte sich auf den Boden, umschlang ihre Knie. Es wurde dunkler.
„Enzian“, sagte sie.
„Eine Blume.“
„Bald ist’s wieder Frühling.“
Er nickte.
„Du kennst ihren Duft, getrocknete Feigen.“
„Hm.“
„Intensiv, noch ärger als der Himmel und der ist riesig.“
„Größer als du wird er schon sein.“
„Was soll das wieder heißen?“
Er lächelte. Als er sich neben sie hockte, klingelte es. Einen Schritt nach vor, keinen zurück. Blicke gesenkt.
„Hast du gewusst, dass Rosinen getrocknete Weintrauben sind?“, fragte er.
„Pardon?“
„Das war Französisch.“
„Bitte?“
„Ich wusste nicht, dass du Französisch kannst.“
„Blond, aber nicht blöd. Nicht alles geht nach dem Schema Klischee“, sagte sie.
„Bemerkenswert.“
„Hört, hört!“
Spöttisch hob sie die Hand und deutete einen Wink. Er blieb unerwidert.
„Sie erinnern mich eher an eine kleinere Variante von Datteln ohne Kern“, meinte er.
„Guter Tastsinn?“
„Ganz gewiss, meine Dame.“
„Förmlich heute.“
Er lehnte sich zurück. Konzentriert band sie sich den einen Schuh erneut. Einen Schritt nach links. Schnäuzen.
„Ziemlich unruhig heute“, meinte sie.
„Ich sehe nichts.“
„Der Punkt geht an dich.“
Er zuckte mit den Schultern.
„Ramona wäre zusammengebrochen.“
„Schon möglich.“
„Mitleid vielleicht.“
Wieder zuckte er mit den Schultern.
„Hast du’s nun gewusst?“, wiederholte er.
„Hm. Ich mag keine Rosinen, nur Weintrauben.“
„Das beantwortet nicht meine Frage.“
„Brauch es nicht, es liegt auf der Hand.“
„Nein, das tut es nicht.“
Aufs Neue streckte sie ihren Arm aus. Er reagierte nicht. Enttäuscht ließ sie ihn wieder sinken und erhob sich. Einen halben Schritt nach rechts. Vermehrtes Räuspern. Sie drückte ihre Hand, ihre Finger waren kalt.
„Nein, das tut es wirklich nicht“, bestätigte sie.
Er neigte den Kopf und schaute in ihre Richtung. Fordernd hob sie ihre Augenbrauen. Nutzlos.
„Deine Farbe. Ob sie wohl bunt ist?“
„Farben sind nicht immer bunt.“
Sie starrte auf Augenlider.
„Olivia.“
„Hm?“
„Komm mal her.“
Sie bewegte sich vorwärts. Fünf Schritte. Stolperte.
„Olivia?“
„Mir geht’s gut, keine Sorge. Dummes Schuhband.“
Hastig rappelte sie sich auf, band sich den Schuh nochmals. Sicherstellend, dass der Knoten saß. Ein Blitzen.
„So, was ist?“
„Hier.“
Er kramte aus seiner Hosentasche eine Packung. Es klackerte. Das Zuckerl landete auf ihrer Handfläche. Sie betrachtete es. Blass sah es aus.
„Probier‘ mal.“
„Moritz?“
„Was?“
„Wenn ich Mundgeruch habe, dann kannst du’s mir gleich sagen.“
„Erwischt.“
Er grinste. Sie mochte sein Lächeln und entspannte sich. Dann steckte sie sich das Zuckerl in den Mund. Nach rechts. Schnauben.
„Und?“
„Schmeckt komisch.“
„Keinen Geschmack.“
„Willst du’s wieder?“
„Nein, ich will dich leiden sehen.“
„Unwahrscheinlich.“
„Man nimmt, was man bekommt.“
Sie legte sich neben ihn, harter Holzboden. Die Decke war hoch. Nach unten. Es blendete.
„Ist übrigens Pomelogeschmack.“
„Gesundheit.“
„Eine Frucht aus Kreuzung zweier Früchte. Pampelmuse und Grapefruit. Relativ dicke, weiße Schicht unter der Schale, fühlt sich schwammig an. Großes Teil.“
„Überaus interessant.“
„Du solltest mir dankbar sein.“
„Okay.“
„Okay?“
Seine Stirn legte sich in Falten.
„Okay, wie ‚Ja, ich hab’s kapiert‘.“
„Ich will ein Danke hören.“
„Hast du nicht verdient.“
„Du wirst den Boden ablecken, wenn du in einer Millionenshow bist.“
„Nein, dann kauf ich dir eine Brille, damit du besser sehen kannst.“
Er schwieg. Ihre Muskeln spannten sich. Unüberlegt.
„Das wa-“
„Schon gut“, meinte er.
„Aber-“
„Nein, passt schon. Nichts passiert.“
Sie rollte sich auf den Bauch. Ließ den angehaltenen Atem aus, der ihr die Haare aus dem Gesicht blies. Er hob seine Hand und drückte ihre Schulter. Null Schritte nach rechts, einen viertelten nach links. Rascheln, gefolgt vom Husten.
„Warum darf ich dir nicht helfen?“
„Du darfst.“
„Du lügst.“
„Nein, du kannst es bloß nicht.“
Ein Stich. Schritte aus.
„Die Farbe, Moritz. Ich will nur die Farbe wissen.“
„Das macht keinen Unterschied.“
„Doch, das tut es!“
Ruckartig erhob er sich. Schnell griff sie nach seiner Hand, doch er schüttelte sie ab. Gemurmel erfüllte den Raum. Grelles Leuchten. Sie stand auf, Augen zusammengekniffen.
„Jetzt versteh ich’s.“, sagte sie.
„Was?“
„Los, Moritz, schließ die Augen!“
„Was ist los mit dir?“
„Tu’s einfach!“
Ungeduldig wippte sie vor und zurück. Sie sah, wie er seine Augen schloss und tat es ihm gleich.
„Und, siehst du’s?“
„Olivia, das macht doch alles keinen Sinn.“
„Hör auf damit und schau genau hin!“
Sie konnte sich das Grinsen nicht verkneifen.
„Sie ist rot, Moritz.“
„Rot?“, wiederholte er.
„Deine Farbe, sie ist rot!“
Diesmal wartete sie nicht. Diesmal packte sie seinen Arm und nahm Anlauf. Sprung. Das Licht erlosch.
Applaus.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX