Das Punschkrapferl am Klaviervon Lisa Gmeiner
PERSONEN
Punschkrapferl
ORT DER HANDLUNG
Eine gemütlich eingerichtete 2-Zimmer Wohnung, im Wohnzimmer steht ein Klavier.
ANMERKUNG
Er ist die ganze Zeit nicht klar bei Sinnen und führt Selbstgespräche.
PUNSCHKRAPFERL Wenn sich Pflanzen miteinander unterhalten können, machen das Bücher dann auch? Und wenn sich die unterhalten, tauschen sie dann ihre eigenen Inhalte untereinander aus? Kann so zum Beispiel aus einer Österreichischen Sage ein Krimi oder Liebesroman werden? Mit dem Zeigefinger streift er über die Bücherrücken. Oder ist es weniger eine Art der Kommunikation, sondern mehr wie bei einem Waschgang von jemandem der Weiß-und Buntwäsche vermischt hat?
Sein Blick wandert zu den Vasen die auch im Regal neben den Büchern stehen. Er nimmt eine in die Hand und betrachtet sie mit zusammengekniffenen Augen. Wenn ich aus Porzellan wäre und mir fällt die Vase auf den Fuß, zerbreche dann ich zuerst oder sie? Oder kommt es dann darauf an, ob Porzellan schneller zerbricht als Keramik?
Er stellt die Vase wieder zurück und nimmt einen Zug von seiner Zigarette. Bin ich ab jetzt ein Linkshänder? Oder bin ich ein Rechtshänder der die linke Hand benutzt? Er taumelt zum Klavier. Dort hat er zuletzt sein Punschkrapferl gesehen. Wenn ich meine Einstellung damals geändert hätte, wäre ich dann jetzt noch arbeitslos oder ein beschäftigter Arbeitsloser? Wahllos drückt er ein paar Tasten und sucht den Flügel nach dem Punschkrapferl ab. Wenn sich die Leute beschweren, dass ich immer das gleiche spiele, heißt das dann, dass ich mich nicht weiterentwickle? Heißt das, dass ich gleich bleibe, weil meine Einstellungen die gleichen sind? Und heißt das dann, dass ich im Kopf nie älter werde, weil ich nicht älter werden will? Er findet das angebissene Punschkrapferl und hält es sich vor den Mund. Bin ich also wie Peter Pan oder wie ein Punschkrapferl? Er beißt ab. Peter Pan will nicht erwachsen werden, aber das Punschkrapferl will nicht gegessen werden. Oder will es das? Ist das sein großes Ziel? Gegessen werden?
Angewidert verzieht er das Gesicht. Das Punschkrapferl schmeckt nach Eisen. Er legt es wieder hin. Als meine Mutter damals sagte, ich soll Klavierunterricht nehmen, wusste sie was passieren wird, weil Mütter ja alles wissen? Oder wollte sie mir eins auswischen, weil sie weiß, dass ich ihr irgendwann eins auswischen werde, und sie wollte nur erste sein?
Er nimmt noch einen Zug von seiner Zigarette und wischt sich die schmutzige Hand am weißen Unterleiberl ab. Klingt ein Applaus lauter, wenn in großen Sälen gespielt wird? Und wird deswegen nur in großen Sälen gespielt, damit sich der Künstler auf der Bühne dann nicht schlecht fühlt? Klatschen die Leute eigentlich aus Höflichkeit oder weil es ihnen wirklich gefallen hat? Und wenn es stimmt, dass ihnen meine Kompositionen nie gefallen haben, dann werde ich es nie erfahren, nur weil die Leute so höflich waren? Ist Höflichkeit somit auch etwas Negatives? Wenn ja, soll ich dann auch unhöflich werden, weil es ja dann etwas Positives wäre?
Er wankt ins Vorzimmer und nimmt ein paar Züge von seiner Zigarette. Er sieht sich die Urkunden und Auszeichnungen an. Wenn mich jemand fragt, wie ich heiße, und ich sage einen völlig anderen Namen, bin ich dann ein anderer Mensch? Hätte ich von Anfang an einen anderen Namen sagen sollen, wenn ich mir unsicher war? Und wären das dann immer noch meine Auszeichnungen, wenn der Name von jemand anderem dort stehen würde? Er dreht sich zu der Wand, die mit Fotos zugehangen ist. Er sieht sich sein Hochzeitsfoto an. Wenn ich diese Frau damals nicht geheiratet hätte, hätte sie jetzt einen anderen Mann, der genau so wäre wie ich? Er bewegt die Hand langsam zum Bild, zieht sie aber schnell wieder zurück, weil er die Wand nicht schmutzig machen will. Er sieht sich ein Kinderfoto von sich selbst an. Ist man als Erwachsener das gleiche Kind wie damals, nur dümmer? Ist man als Kind gescheiter, weil man perfekt auf die Welt kommt und wird dann mit der Zeit durch die Umwelt vertrottelt?
Er torkelt ins Bad und wirft die Zigarette in die Toilette. Dabei steigt er auf offene Verpackungen von Medikamenten. Habe ich ein Beruhigungsmittel oder ein Schmerzmittel genommen oder beides? Bin ich jetzt ruhiger, weil ich keine Schmerzen mehr spüre, oder habe keine Schmerzen mehr, weil ich so ruhig bin? Warum soll man eigentlich ein Beruhigungsmittel nehmen, wenn man nervlich am Ende ist? Oder habe ich das komplett falsche Mittel genommen?
Angestrengt versucht er, die Packungen zu lesen, kann sich aber vor lauter Schwindel nicht weiter nach vorne beugen. Er wird panisch. Mit einer Hand an der Wand abgestützt torkelt er zur Küche. Er versucht, den Hörer zu nehmen und eine Nummer zu wählen, schafft es aber nicht. Er setzt sich auf den Boden.
Wird sie wütend wegen der Sauerei, die ich gemacht habe, oder weil ICH sie gemacht habe? Er nimmt ein Geschirrtuch und hält sich die Wunde zu. Oder wird sie vielleicht wütend. . . weil ich jetzt nie wieder Klavier spielen kann? Kann man mit. . . acht Fingern noch Klavier spielen?
Er beginnt zu weinen.
Muss ich jetzt noch einmal in die Schule gehen, weil ich nichts anderes gelernt habe? Oder bin ich ein Wunderkind, wie Mozart, und kann trotzdem noch spielen? Dann müsste ich nur wieder jemanden finden, der mich einstellt. So kann ich sie beruhigen! Und. . . und ich werde ihr sagen, dass ich die Sauerei auch wieder wegputzen werde!
Stille. Er lauscht dem Ticken der Uhr.
Habe ich mich jetzt also verändert? Bin ich jetzt ein Buch aus der Waschmaschine, oder ein erwachsenes Kind?
. . .
Oder bin ich ganz einfach. . . ein blödes Punschkrapferl am Klavier?
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