Gedanken
Nichts ist so, wie es aussieht. Ich auch nicht. Wenn man mich sieht, denkt man an einen glücklichen Teenager. Ich hatte eine glückliche Familie, keine Probleme und auch immer gute Noten. Es war wie aus dem Bilderbuch.
Doch was, wenn das alles nur das war, was sie sahen. Nicht das, was sich hinter meiner Haut vergab. In meinem Herzen, meiner Seele.
Denn dort schlummerte vieles mehr. Vieles, dass mir seit Wochen zu schaffen machte. Aber vor allem waren es meine Gedanken. Sie hielten mich immer wach. Korrigierten mich. Bestraften mich. Bemitleideten mich.
Ich erhob meinen Kopf von meinen angewinkelten Knien und öffnete meine trägen Augen. Mit den Händen spürte ich die Narben der letzten Wochen an meinen Knöcheln. Es war traurig. Ich wusste nicht, wann ich es das letzte Mal gemacht hatte, aber es war wie eine Sucht. Das Einzige, was mich durch den Tag brachte und mich schlafen ließ.
Ich zückte mein Handy aus meiner Hosentasche und schaute auf die Uhrzeit. 17: 29. Es begann bereits zu dämmern und tauchte das Feld in ein schönes rot. Das Einzige, was die schöne Landschaft störte, waren die Eisenbahnschienen davor. Ich saß einige Meter davor entfernt und starrte auf die Schienen.
Mein Herz pumpte wie wild in meiner Brust. Ich war nervös. Natürlich, schließlich würde es danach besser werden. Vielleicht aber auch nicht. Wer weiß. Ich hoffte nur, dass diese Gedanken endlich ein Ende nahmen.
Langsam erhob ich mich aus meiner Position und schmiss mein Handy neben mein Fahrrad. Das würde ich die letzten Minuten nicht brauchen. Ich ging auf die Gleise zu und dachte nach. Und dachte nach. Ich dachte an all die schönen Sachen, die mir diese Welt geboten hatte.
Der Boden begann bereits zu vibrieren, das Rauschen wurde lauter. Ich schaute auf den herannahenden Zug und atmete tief aus. Gleich würde es vorbei sein. Eine seltsame Vorfreude erfüllte mich, und ich breitete meine Arme aus. Als würde ich ihn willkommen heißen. Und das tat ich.
Ich hörte das Hupen des Zuges, das Quietschen der Bremsen. Ich schloss meine Augen. Vor meinem inneren Auge formte sich ein Bild. Ich selbst, mit einem Lächeln. Und ich lächelte jetzt auch. Das erste Mal seit Monaten. Weil ich wusste, dass ich gleich frei sein würde.
Kein Schmerz mehr.
Kein Getuschel mehr.
Und keine quälenden Gedanken mehr. Das würde sich alles auf einen Schlag ändern.
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