Sie war das Meer, sie kam und ging und sie schimmerte und strahlte
Und er sah sie an.
Sie, das Mädchen mit den langen, braunen Haaren, die wie Wellen über ihre Schultern glitten und mit dem breiten, offenen Lachen, das fast immer ihr freundliches Gesicht schmückte. Ihre langen, eleganten Finger hielten ein buntes Schulbuch, während ihre großen, meerblauen Augen auf ihre Freundin gerichtet waren.
Er wusste, dass er nicht fühlen durfte, was er fühlte. Sie war nicht die Art Mädchen, die man küssen und anschließend einfach stehenlassen konnte. Sie war jemand, mit dem es schnell ernst wurde. Sie brauchte keine Ablenkung, sie brauchte keinen Jungen für einen Abend, sie brauchte gar niemanden und das war das Beängstigende.
Er wusste auch, dass er eine Freundin hatte. Es bedeutete nicht wirklich viel. Tatsächlich hatte er sie bereits hintergangen. Mit dem braunhaarigen Mädchen vor ihm. Sie war betrunken gewesen und sie hatte kurz vergessen, welche Art von Bursche er war. Als es ihr wieder eingefallen war, hatte sie sich zurückgezogen, mied seine Nähe.
Sie war das Meer, sie kam und ging und sie schimmerte und strahlte. Aber er war das Feuer, gefährlich und unantastbar. Er konnte nicht zu ihr gehen, konnte nicht mit ihr sprechen, sie würde sich verbrennen. Das tat sie jedes Mal, wenn sie sich zu nahe kamen, er sah es in ihren Augen, die dann verletzt glitzerten.
Sie spürte noch immer seine Hand auf ihrer Taille, spürte seinen Atem an ihrer Wange, spürte das eigenartige Gefühl im Bauch, spürte jetzt seinen Blick. Sie schaute nicht zu ihm. Schaute nicht in seine feueropal-farbenen Augen. Die Wahrheit war, sie hätte es getan, hätte alles für ihn getan, Hals über Kopf.
Er vermisste ihr sorgloses Lachen, das sich in seinem Gesicht spiegelte, vermisste ihre sanften, vorsichtigen Hände, vermisste, dass sie immer mehr wusste als er, ihre Versuche, mit ihm im Sport mitzuhalten, vermisste ihre Stimme und den Blick, den sie ihm schenkte, wenn sie glaubte, er würde sie nicht ansehen. Er vermisste das Mädchen, das er nicht haben konnte.
Die Wahrheit war, sie war zu gut für ihn, sie war alles und er war das nicht.
Sie wusste das nicht, sie wusste nur, dass sie sich nicht länger auf die Worte ihrer Freundin konzentrieren konnte und aufschauen musste.
Ihr Blick war so zart und unsicher. Er vergaß zu atmen und vergaß seine Bedenken und machte einen Schritt auf sie zu.
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