Sisyphus
Schrei.
Zerbrochenes Glas. Nur mein Gehörsinn nimmt war, was im Nebenraum geschieht. Jedoch sehe ich tief in meinem Herzen das Ereignis, das hinter der zugeschlossenen Holztür abläuft. Ich kann es nur hören und ahnen und dennoch verspüre ich, die Wahrheit zu wissen. Das Schreien meines Vaters und das Flehen meiner Mutter, die schluchzend darum bittet, dass dies, das mein Vater macht, endlich aufhören soll. Meine Eingeweide ziehen sich zusammen und ich kneife die Augen zu, um das Weinen zu unterdrücken, denn wenn ich daran denke, dass ich nur eine Mutter, aber mehrere Väter habe, läuft mir ein Schauer über den Rücken, der mir das Gefühl gibt, in tiefster Dunkelheit gefangen zu sein. Es sind die verschiedenen Masken, die er zu jeder passenden Zeit wechselt. Er ist der Mann, der laut seiner Mitmenschen vernünftig und bewandert sei. Er ist der Vater, der mir zujubelte, als ich mit meiner Schultüte in der Hand zur Schule lief und er ist der Ehemann, der denkt, es sei im Recht, sie zu würgen und die Bierflasche auf sie zu werfen. Ist dies auch eine Maske oder sein wahres Gesicht? Die Gedanken wollen nicht verschwinden, selbst wenn er mir während dem Abendessen in die Augen sieht und mich liebevoll fragt, ob mein Tag gut gewesen sei. Ich kann ihn nicht anblicken, weil ich Angst habe jene grausame Maske zu Gesicht zu bekommen, wenn ich ihn ansehe. Ich hasse ihn, weil er so tut, als sei nichts passiert. Als hätte meine Mutter keine roten Abdrücke am Handgelenk oder einen Kratzer über der Augenbraue, welches sie mit einem Pflaster bedeckt hält. Ich habe Angst um sie, weil sie jedes Mal lächelt, wenn ihr jemand sagt, wie glücklich sie sein muss, so einen tollen Ehemann zu haben. Ist es Glück? Oder kein Entkommen? Sie ist mein größtes Vorbild, weil ihre Arme, die mit blauen Flecken versehrt sind, meinen Rücken streicheln und ihre gerissene Oberlippe sich langsam bewegt, wenn sie mir jedes Mal das Versprechen gibt, dass es nie wieder vorkommen wird. Zeigt es jedoch an Stärke, wenn sie diese Last weiterhin mit voller Würde hinnimmt? Warum sagt sie nicht NEIN? Wieso wollen Frauen sich von ihrem Mann nicht trennen, wenn er sie so behandelt? Das ist doch keine Liebe mehr, sondern reinste Demütigung, die einem das Gefühl gibt nicht respektiert zu werden, weil man eine Frau ist. Wieso wollen all diese Frauen nicht weggehen, sondern bleiben in dieser Blase der Illusion, die einen das Gefühl gibt eine gesunde Beziehung zu führen. Es liegt an der Frau und nicht an den Mann, oder? Sie ist die wahre Schuldige, nicht wahr? Das ist ein absurdes Bild, dass die männliche Gesellschaft als selbstverständlich empfindet. Es fängt klein an…Ein einziger Schlag aufgrund eines angeblich respektlosen Verhaltens gegenüber dem Mann, welches ihn dazu veranlasst, sie mit Schmerz zu betäuben. Nach dem ersten Schlag wird er nicht glauben können, was sein Geist ihn dazu veranlasst hat, Hand an die Person, die er am meisten liebt, zu legen. Jedoch wird das nie aufhören, weil es kein Ende hat.
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